Energiewende jetzt!
Aufbruch in eine neue Energiezukunft

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Appell "Für einen Aufbruch in eine neue Energiezukunft" [Herbst 2011]


In den Märztagen des Jahres 2011 erlebte die Welt eine Zäsur historischen Ausmaßes. Mit den zerstörten Reaktorgebäuden in Fukushima hatte sich nicht nur das rechnerische Restrisiko der Atomenergie als reale Menschheitsbedrohung entpuppt. Der Soziologe Ulrich Beck spricht angesichts der Bilder aus Fernost von einem 'anthropologischen Schock', den die Menschheit erlebt hat. Aus der explodierenden Atomanlage sei ein kosmopolitischen Ereignis geworden, an dem die Menschen exemplarisch die Versprechen der Kernindustrie und ihrer Politiker im Moment ihres Zusammenbruchs beobachten konnten.

Unter den verstrahlten Trümmern an der japanischen Küste liegt damit auch der Glaube begraben, der Natur könne mit ausreichend Technologie Fesseln angelegt werden. Die Auswirkungen dieses Glaubensverlustes haben sich in Deutschland ebenso rasch wie spektakulär eingestellt. Die Bundesregierung stellt ihre gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerung im Rahmen eines dreimonatigen Moratoriums auf den Prüfstand. Marode Altreaktoren sollen nun sogar vollständig abgeschaltet bleiben. Ein revolutionäres Energiekonzept, gerade wenige Monate alt, ist nun nicht mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde. Nahezu zeitgleich verhängt die Landesregierung Nordrhein-Westfalens einen Stopp für Probebohrungen zur Aufsuche von unkonventionelle Erdgasvorkommen.

Dieser hektische Aktionismus angesichts einer historischen Krise ist auch das Ergebnis fataler Fehlentwicklungen. Mehrere hundert Milliarden Euro wurden in den vergangenen Jahrzehnten in Technologien investiert, die heute die Zukunft der Menschheit bedrohen. Immer wieder wurden politische Gräben ausgehoben, die zu brisanten Konfliktlinien in der Gesellschaft führten. Technische Innovationen und struktureller Wandel wurden behindert mit dem Ergebnis, dass veraltete Strukturen bis zum heutigen Tag die notwendige Energiewende ausbremsen.

Diesem Versagen von Politik und Wirtschaft muss Einhalt geboten werden! Der Poker mit der Reaktorsicherheit und die Hoffnung auf bisher unerschlossene Rohstoffvorkommen darf nicht weiter das Nachdenken über eine nachhaltige, risikoarme und gerechte Energieversorgung ersetzen.

Getragen von der moralischen Verpflichtung, unsere Gesellschaft nachhaltig, gerecht und in bürgerschaftlicher Teilhabe weiterzuentwickeln, fordern wir einen Aufbruch in eine neue Energiezukunft, welcher seine Wurzeln in einem breiten, gemeinschaftlichen Konsens findet.

Die Gründe, warum uns politische Willenserklärungen, Gesetze oder wirtschaftsstrategische Planungsentwürfe nicht mehr ausreichen, liegen auf der Hand. Energieversorgung ist ein zivilisatorischer Stützpfeiler, ohne den unsere Gesellschaft nicht vorstellbar ist. Es handelt sich dabei um eine Herausforderung, die sich nicht durch Ländergrenzen einschränken lässt und eine Verantwortung einfordert, die sich über Generationen in die Zukunft erstreckt.

Vor diesem Hintergrund ist es augenfällig, dass weder eine an Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmerelite noch eine um den Machterhalt ringende Parteienlandschaft von sich aus Lösungen entwickeln kann. Wo sich die Frage der Energieversorgung mehr und mehr von einer technischen zu einer ethischen Herausforderung wandelt, müssen gesellschaftliche Grundannahmen hinterfragt werden. Bereits heute gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, wie kohlenstoffhaltige Energieträger und atomare Energiegewinnung ersetzt werden können. Doch die Bereitschaft von Politik und Wirtschaft, die Energiewende tatsächlich herbeizuführen, ist im Vergleich zu den technischen Möglichkeiten als unterentwickelt einzustufen.

Wir folgern daraus, dass nicht technische Innovationen den Aufbruch in die neue Energiezukunft markieren werden. Vielmehr sehen wir die Notwendigkeit, diesen Aufbruch als kulturelle und ethische Herausforderung einer modernen Bürgergesellschaft zu begreifen. Das besinnungslose 'schneller, höher, gewaltiger' muss einem nachdenklichen 'kleiner, flexibler, angepasster' weichen. Die Zielvorgabe, den Mars zu erreichen, muss hinter der Notwendigkeit zurückstehen, unseren Kindern und Enkeln eine halbwegs intakte Erde zu hinterlassen.

Dieser 'Aufbruch in eine neue Energiezukunft' kann weder von den Politik verordnet noch im Rahmen marktwirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten herausgebildet werden. Fehlentwicklungen und Verantwortungsversagen haben den Handlungsspielraum inzwischen so stark eingeschränkt, dass nun Maßnahmen ergriffen werden müssen, die einschneidend in den Alltag der Menschen hineinwirken. Ein halbherziges 'weiter so' aus Angst vor enttäuschten Wählern oder zornigen Konsumenten wird die Krise nur weiter verschärfen. Folglich müssen Auswege gemeinschaftlich von der modernen Bürgergesellschaft entwickelt, getragen und fortgeschrieben werden. Hierbei ist die Einführung des E-10-Kraftstoffs ein herausragendes Beispiel, wie man es besser nicht macht.

Konzepte für bürgerschaftliche Teilhabe wie sie in der Schweiz und in Stuttgart bereits erprobt wurden, müssen weiterentwickelt werden. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung 'Globale Umweltveränderungen' fordert in seiner Studie 'Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation' daher zurecht einen neuen Gesellschaftsvertrag, in welchen die Menschheit kollektive Verantwortung übernehmen müsse - für den Klimawandel und andere planetare Risiken. Die Autoren sehen dabei in der erweiterten Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger ein notwendiges Gegengewicht zu einem starken Staat. Nur wenn beides ausbalanciert sei, könne der notwendige Wandel erfolgreich umgesetzt werden, so die Prognose der Studie.

Wir erwarten von Politik und Wirtschaft, dass sie diese Ansätze aufgreifen, um gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern nach Lösungen zu suchen. Dazu sind aus unserer Sicht folgende Punkte umzusetzen:

  • Strategien und Ziele müssen offen kommuniziert und allgemeinverständlich diskutiert werden. Verhandlungen in Hinterzimmern sowie elitäres Machtdenken fördern Politikverdrossenheit und senken die Bereitschaft des Mitwirkens.

  • Gefahren dürfen nicht verschwiegen werden. Eine Technologie kann nur dann bewertet werden, wenn eine konsequente Risikoanalyse und Schadensbetrachtung stattfindet unter besonderer Berücksichtigung der möglichen Maximalschäden.

  • Verluste und Gewinne müssen transparent gemacht werden. Nur wenn die Lasten der Energiewende auf alle Schultern gerecht verteilt werden, ist der dringend notwendige Konsens zu erzielen.

  • Horizonte müssen ausgeweitet werden, sowohl räumlich als auch zeitlich. Wir müssen uns endlich der ethischen Herausforderung stellen, dass unser Handeln Auswirkungen hat sowohl in fernen Teilen der Erde als auch für die noch nicht geborenen Generationen.

  • Entfesselte Wachstumsideologie darf nicht länger Triebfeder politischen und wirtschaftlichen Handelns sein. Der ungehemmte Raubbau an den endlichen, natürlichen Ressourcen der Erde muss einer Kultur des behutsamen und nachhaltigen Wachsens weichen.

  • Bürgerinnen und Bürger müssen in die Prozesse eingebunden werden. Die bürgerschaftliche Teilhabe ist eine notwendige Voraussetzung, um die Menschen auf den Weg des Aufbruchs 'mitzunehmen' und globale Verantwortung zu übernehmen.

Die Katastrophe in Japan zwingt uns zu ernsthaftem Handeln, denn die Zeit oberflächlicher Symbolpolitik ist vorbei. Diese Krise erfordert Eingriffe in den Tiefen des gesellschaftlichen Betriebssystems, damit der Aufbruch in eine neue Energiezukunft gelingen kann. Wer sich dem verschließt, zerstört Möglichkeit und Handlungschancen für eine Energiewende und vernichtet Perspektiven für neue Wege in eine moderne Bürgergesellschaft. Jetzt muss es uns gelingen, diese Krise als Chance zu begreifen und den historischen Moment für den Aufbruch zu nutzen, um tatsächlich eine Wende vornehmen zu können.

Wir fordern von der Politik und der Wirtschaft nicht mehr, als wir uns selber auferlegen: mit aller Kraft und Entschlossenheit sich auf den Weg zu machen und den Aufbruch in eine neue Energiezukunft zu wagen. Wir sind bereit, uns hinauszubegeben auf die Marktplätze der modernen Bürgergesellschaft, um dort für dieses Anliegen zu werben und einzustehen.

Wir fordern Sie auf, sich uns anzuschließen!

   

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